14. Juni 2021: Bericht zum 8. Prozesstag

Mit der Vernehmung der letzten Nazi-Zeugen sowie der Aussage mehrerer ermittelnder PolizeibeamtInnen ging das sogenannte „Wasen-Verfahren” in seinen achten Prozesstag. Knapp 40 solidarische ProzessbesucherInnen unterstützten die beiden angeklagten Antifaschisten Jo und Dy bei der Verhandlung im Stammheimer „Prozessbunker”. Auch etwa 10 Nazis, darunter die Führungskader von Zentrum Automobil, wohnten dem Verfahren bei. Eine halbe Hunderschaft der Stuttgarter Polizei sicherte erneut das Gerichtsgebäude. Hinter den Eingangstüren übernahm dann die „Sicherungsgruppe Stuttgart (SGS)”, eine speziell ausgerüstete und gesicherte Einsatzgruppe der Stuttgarter Justiz, welche das Verfahren sowie die Kontrollen der BesucherInnen seit Beginn abwickelt. Neu war die willkürliche Platzvergabe im Verhandlungssaal. Anscheinend achten die Justizbeamten jetzt bewusst darauf, solidarische ProzessbesucherInnen möglichst weit weg vom Angeklagten Dy zu setzen. Verfahrensbeginn war erst um 9.30 Uhr, dafür wurde bis 16 Uhr verhandelt.

Zentrum Automobil zeigt sich vor Gericht
Während die unmittelbare Unterstützung der drei Nebenkläger Thut, Dippon und Ziegler mittlerweile fast ausschließlich vom NPD-Landesverband kommt, besuchte am heutigen Verhandlungstag das erste Mal seit Langem wieder eine größere Gruppe Zentrums-Miglieder das Verfahren. Anlass waren sicherlich die Zeugenaussagen der ZA-Mitglieder Rico Heise und Hans Jaus sowie dem auf Honorarbasis bei ZA beschäftigten, faschistischen Filmemacher Simon Kaupert aus Halle an der Saale.
Zur Unterstützung der drei waren neben ZA-Führungsfigur Oliver Hilburger auch Thomas Scharfy, Andreas Brandmaier (zudem AfD-Bezirksbeirat in Zuffenhausen) sowie Christian Schickart und Vidoje Anicic erschienen. Anders als an den bisherigen Verhandlungstagen wurde die Gruppe durch die eingesetzten Justizbeamten im abgesperrten Bereich vor dem Gerichtsgebäude geduldet und konnte so auch Plätze im Verhandlungssaal ergattern. Bemerkenswert war zudem ein von Oliver Hilburger mitgeführtes großes Klappmesser, welches bei der Durchsuchung in der Schleuse gefunden wurde. Hilburger musste das Messer abgeben, erhielt es aber beim Verlassen des Gerichtssaals wieder zurück.

Die letzten Nazis sagen aus
Gleich zu Verfahrensbeginn wurde der ehemalige IB-Kader sowie EinProzent-Aktivist Simon Kaupert als Zeuge vernommen. Kaupert gab an, seit den Betriebsratswahlen 2018 auf Honorarbasis für Zentrum zu arbeiten. Es gäbe eine Art „Generalauftrag”, er selbst sei nur weisungsgebundener Subunternehmer. Seine Tätigkeiten umfassen das Redenschreiben, sowie die Gestaltung von Grafiken und das Erstellen von Videos. Auch die von ZA im Internet veröffentlichten Videos zum „Wasen-Ereignis” habe er gedreht und produziert.
Am Tattag hätte er sich am Parkhaus P1 mit einer größeren Gruppe getroffen, so Kaupert. Er sei als Filmemacher im Einsatz gewesen, jedoch ohne konkreten Auftrag. Momentan arbeite er an einer eigenen Produktion zu Querdenken, das Material von damals könne er da verwenden. Sein erster Reflex beim „Überfall” sei es gewesen, die Kamera hochzureißen und zu filmen – nicht etwa seinen Kameraden in der Auseinandersetzung zu helfen. Enstanden sind dadurch drei kurze Video-Sequenzen, welche er der Polizei zur Verfügung gestellt hat und zudem in ZA-Videos verarbeitet hat. Aus den verwackelten Bildern konnte die Polizei später 19 unscharfe Fotos von mutmaßlich Tatbeteiligten herausarbeiten. Alle Personen sind von hinten abgebildet und zumeist schwarz gekleidet und vermummt. Zum Tatgeschehen selbst könne er nichts sagen, Gegenstände bei den AngreiferInnen habe er nicht gesehen. Auch das Andreas Ziegler am Tag als Personenschützer für Oliver Hilburger im Einsatz war, habe er nicht gewusst. Nach der Flucht der AngreiferInnen habe er sich an der Versorgung der Verletzten beteiligt und sei danach mit allen anderen auf die Querdenken-Demo gegangen. Dieser Aussage widersprechen Bilder und Social-Media-Beiträge vom Tattag. Sie zeigen den verletzt am Boden liegenden Ziegler, sowie Rettungskräfte und Polizei. Bilder und die Verarbeitung in den sozialen Medien legen nah, dass Kaupert sich eben nicht an der Erstversorgung beteiligte, sondern mit Kamera und Handy die Situation so dokumentierte, dass sie später medial verwertet werden konnte.

Von der Verteidigung auf die von ihm mit Falschinformationen produzierten Videos angesprochen, antwortete Kaupert, der Beschluss, die Videos zu machen sei vom ZA-Vorstand (Hilburger, Jaus, Schickart) gekommen. Auch die Info, es seien 16 Schlagringe sowie Kleidungsäcke gefunden worden, sei vom Vorstand, konkret von Oliver Hilburger gekommen. Inwieweit von Hilburger hier bewusst und gezielt Fehlinformationen in Umlauf gebracht wurden, konnte die Vernehmung von Simon Kaupert nicht klären.

Neben Kaupert sagte auch Zentrums-Mitglied Rico Heise aus. Heise, früher Mitglied bei „Motorradstaffel Kreuzeiche Germania“, ist im Blood & Honour-Milieu gut vernetzt und musste bereits im NSU-Untersuchungsausschuss aussagen. Dort wurde bekannt, dass frühere Geburtstagspartys von ihm, einem Stelldichein der bundesdeutschen Naziszene glichen.
Heise selbst war am 16. Mai 2020 ebenfalls auf bzw. am Cannstatter Wasen. Er war mit seinem Freund Jens Ackermann sowie Kollegen unterwegs. Vom Angriff selbst habe er nichts mitbekommen.

Als letzter Nazi-Zeuge war ZA-Führungsfigur und Ex-Wikingjugend-Kassenwart Hans Jaus geladen. Auch Jaus hatte die Tat nicht mitbekommen und wurde durch andere darauf aufmerksam gemacht. Er sei dann mit anderen zum Tatort geeilt und habe dort die Verletzten gesehen. Begleitet wurde er von Timo Schwarg. Am Tatort habe er an Andreas Zieglers Finger keine „Biker-Ringe” gesehen, seiner Erkenntnis nach waren die Geschädigten in keinen Personenschutz eingebunden.
Oliver Hilburger hatte in seiner Zeugenaussage angegeben, dass Hans Jaus den Schutz der ZA-Gruppe organisiert habe. Jaus widerspricht dieser Angabe zuerst, muss auf Rückfrage der Verteidigung jedoch eingestehen, dass er bereits eine Woche vor dem Angriff den Schutz von Oliver Hilburger organisiert hatte. Angesprochen auf ein Team der rechten Zeitung „Compact” welchen ebenfalls mit Personenschutz ausgestattet war, leugnet Jaus auch hier einen Kontakt, muss aber später zugeben, dass er mit dem Chefredakteur persönlich bekannt sei.
Hans Jaus widerspricht sich nicht nur ständig vor Gericht, er legt auch cholerische Anwandlungen an den Tag. Sein respektloses Verhalten gegenüber dem Gericht wird von der Verteidigung gerügt, bleibt jedoch ohne Konsequenzen.

Dubravko Mandic, Nebenklageanwalt von Andreas Ziegler, verlas eine Erklärung in der er zu Protokoll gab, dass Ziegler kein professioneller Personenschützer sei sondern am Tattag privat unterwegs gewesen sei.
Ziegler selbst maß wesentlichen Teilen des Verhandungstags wenig Aufmerksamkeit bei sondern starrte durch die große Glaswand in den ZuschauerInnenraum und zeigte einzelnen BesucherInnen den Mittelfinger. Erst auf Ansprache durch Justizbeamte drehte er sich wieder dem Gericht zu.

Polizei-Zeugen
Vervollständigt wurden der Prozesstag durch die Aussage zweier Polizeibeamter. Ein Polizeikommissar der Polizeiinspektion 8 (Arbeitsbereich 801 – Kriminaltechnik) aus der Stuttgarter Hahnemann-Wache hatte kriminaltechnische Maßnahmen am Tatort vorgenommen. Er sicherte Spuren auf dem Fußweg sowie am Nebenkläger Ingo Thut (Verletzungen sowie Beschlagnahmung der Oberkleidung). Am Tatort seien zudem eine medizinische Maske, ein Flaschenhals, ein Schlagring, Thuts Uhr sowie ein Tierabwehrgerät gefunden worden. Am Magazin des Tierabwehrgeräts sei ein dunkles Haar eingeklemmt gewesen.
Der zweite Polizeizeuge war am Tattag als Kriminalbeamter auf der Wasenwache direkt auf dem Cannstatter Wasen stationiert. Am Tatort hatte er die Anzeige von Ingo Thut aufgenommen und den Ablauf der Polizeiarbeit koordiniert. Es sei Standard, dass in solchen Fällen „Erst-Teams” die unmittelbare Arbeit machen und den Fall später an die zuständige Abteilung, in diesem Fall die Abteilung 6 (Staatsschutz) weitergäbe. Er selbst habe nach dem Tattag nicht in der Ermittungsgruppe „Arena” mitgearbeitet, aber trotzdem die verwackelten Bilder von Simon Kaupert mit Bilder verglichen, die die EG „Arena” zusammen gestellt habe. Er meinte, ein Foto weise in der Frage der Statur eine gewisse Ähnlichkeit mit dem angeklagten Antifaschisten Jo auf.

Exkurs: Mandic-Zögling greift Passant in Freiburg mit Messer an
Im Wasen-Verfahren wird Andreas Ziegler von Ex-AfD-Mitglied Dubravko Mandic vertreten. Mandic ist Gemeinderat in Freiburg und bekennender Faschist. 2019 hatte der Anwalt Mandic gemeinsam mit dem AfD-Gemeinderatskandidaten Robert Hagerman AktivistInnen aufgelauert, die rassistische Wahlplakate in der Freiburger Innenstadt entfernen wollten. Mandic und Hagerman hatten die AktivistInnen damals geplant überfallen und körperlich angegriffen.
Mandics damaliger „Schläger-Kompagnon” Hagerman wurde jetzt am vergangenen Wochenende in Freiburg verhaftet. Er hatte einen Bürger, welcher zwei von Hagerman gepfefferten AntifaschistInnen half, mit dem Messer angegriffen und schwer verletzt.

Im Anschluss an den Verhandlungstag grüßten die solidarischen ProzessbesucherInnen wie üblich Dy, der vom Gerichtsgebäude in die JVA gefahren wurde.
Der nächste Prozesstermin findet am 17. Juni 2021 in Stammheim statt. Wir rufen erneut zur solidarischen Prozessbegleitung ab 8 Uhr auf.