Knapp 50 solidarische ProzessbeobachterInnen begleiteten den fünften Prozesstag gegen die vor dem Stuttgarter Landgericht angeklagten Antifaschisten Jo und Dy. Zwar war das Gerichtsgebäude neben der JVA in Stuttgart-Stammheim erneut weiträumig mit Hamburger Gittern abgesperrt, jedoch reduzierte die Stuttgarter Polizei ihre Anwesenheit spürbar. So sicherte am heutigen Prozesstag „nur” eine halbe Einsatzhundertschaft Parkplatz und Zugänge. Der Prozesstag begann um 9 Uhr und endete gegen 15.30 Uhr.
Solidarität könnte teuer werden
Im Gerichtssaal unterband der Richter eine erneute Solidaritätsbekundgung in Richtung Dy, der nach wie vor in Untersuchungshaft sitzt. Applaudieren ziehe ab sofort eine Ordnungsstrafe von 100 Euro nach sich, alternativ könne ein Tag Haft angetreten werden. Zudem lehnte die Kammer den am vergangenen Prozesstag vom Nebenklageanwalt Mandic gestellte Antrag, wonach alle ProzessbesucherInnen namentlich erfasst werden sollten, endgültig ab.
Das Prozessgeschehen fand mit weiteren ZeugInnenvernehmungen seinen Fortgang. Neben zwei Unbeteiligten, waren heute auch das „Zentrum Automobil”-Mitglied Sükrü Kanat sowie ein Mitarbeiter des baden-württembergischen LKA geladen. Außerdem war die Aussage des Hauptgeschädigten Andreas Ziegler geplant, der sich jedoch zum zweiten Mal weigerte, im Zeugenstand Platz zu nehmen. Seine psychische Verfassung ließe das nicht zu. Gericht und Staatsanwaltschaft glaubten ihm und verschoben seine Aussage auf den kommenden Prozesstag.
Motorrad-Nazi und V-Person
Die beiden unbeteiligten Augenzeugen konnten wenig zum genauen Tatgeschehen sagen. Jedoch ist die Bewaffnung Zieglers mit einem Schlagring durch die Berichte der medizinischen Erstversorgung bestätigt. Gleiches gilt für die Protektoren am Körper Zieglers. Die Staatsanwaltschaft erklärte in diesem Kontext, sie habe auf die strafrechtliche Verfolgung verzichtet, weil sich Ziegler augenscheinlich gegenüber dem politischen Gegner schützen wollte und nicht gegenüber der Polizei. Die Verteidigung reagierte und beantragte, die beiden Zentrums-Mitglieder Ingo Tuth und Jens Dippon erneut zu hören, da die Bewaffnung der Gruppe zum Zeitpunkt ihrer Vernehmung noch nicht Thema im Gerichtssaal gewesen sei.
Der nächste vernommene Zeuge war ZA-Mitglied Sükrü Kanat. Er war am Tattag mit seinem Motorrad auf Höhe des Stadions unterwegs. Angeblich war er dort ausschließlich mit Oliver Hilburger, dem Zentrum-Kopf verabredet. Eine Aussage, die in Anbetracht der Vielzahl an Zentrum-Nazis, die sich rund um den Tatort befanden, nur wenig glaubhaft wirkt. Kanat gab an, den Pressesprecher seines Vereins, Andreas Ziegler, nur aus der Kantine zu kennen. Zum Tatgeschehen äußerte sich Kanat widersprüchlich. So konnte er sich an wesentlich mehr Einzelheiten erinnern, als er während dem Verhör bei der SOKO zu Protokoll gab.
Die interessanteste Aussage des Tages kam vom LKA-Mitarbeiter Müller, welcher stellvertretend für eine von seiner Abteilung geführte V-Person aussagte. Mit der Person gäbe es eine schon seit längerer Zeit stattfindende Zusammenarbeit, so Müller. Sie sei etwa drei Monate nach dem Angriff auf seine Abteilung zugekommen. Die V-Person habe vom Hörensagen mitbekommen, dass eine Person, die den selben Vornamen wie einer der beiden Angeklagten trägt und aus Ludwigsburg kommt, bei der Auseinandersetzung dabei gewesen sei. Der Beteiligte habe sich bei der Schlägerei am Unterarm verletzt. Mittels Wahllichtbildvorlage sei man dann auf den Angeklagten gekommen, so LKA-Mitarbeiter Müller.
Rückfragen durch die Verteidigung beantwortete der LKA-Mitarbeiter nicht und berief sich auf den Quellenschutz bzw. die „Vertrauenszusicherung”. Vertrauenspersonen seien für das LKA besonders wichtig, vor allem in ausländischen Organisationen, weil die Behörden sonst an keine Infos kämen, ergänzte Müller mit Blick auf die Aussagebeschränkungen. Die Sicherheit der VP zu garantieren sei wesentlich.
Vor und abseits des Gerichtsgebäudes
Ganze vier Nazis unterstützen die Zentrums-Nebenkläger am heutigen Verhandlungstag. Frank Lobstedt, „Sicherheitsbeauftragter” der AfD-Baden-Württemberg, und sein Sohn Jochen Lobstedt aus dem JA-Bundesvorstand und die NPD-Landesvorsitzende Marina Djonovic reisten gemeinsam mit „Chrissi” Schmauder im Auto der Lobstedts an. Ein weiteres Mal wurde so der Schulterschluss zwischen AfD, NPD und Zentrum Automobil sichtbar.
Ähnlich divers aber personenstärker ging es am Tag zuvor in der Nähe des Cannstatter Wasens zu. Zwischen 80 und 100 Nazis hatten sich am Sonntagmittag unter großem Polizeischutz an einem abgelegenen Stadionparkplatz getroffen um dem Jahrestag des Angriffs zu „gedenken”. Aufgerufen hatte der rechte Internetaktivist Stecher aus Fellbach. Die Zusammenkunft war geprägt von pathetischen Beiträgen der neuen Lebensgefährtin von Ziegler, „Chrissi” Schmauder, sowie internen Streitigkeiten. So reduzierte sich die Anzahl der Anwesenden spürbar, als auf Initiative der anwesenden AfD-Funktionäre den Nazis vom „III. Weg” verboten wurde, ihr Banner aufzuspannen und sie von der Kundgebung verwiesen wurden.
Prominentester Redner der Veranstaltung war der Stuttgarter AfD-Bundestagsabgeordnete und ehemalige Daimler-Manager Dirk Spaniel. Weitere AfD-Reden kamen von Heidelberger AfD-Mitglied und Ex-OB-Kandidat für Stuttgart Malte Kaufmann sowie der ehemaligen AfD-Landtagsabgeordneten Christina Baum. Michael Seibold von der Identitären Bewegung war für die Fotos zuständig.
Der nächste Prozesstermin findet erst am 7. Juni 2021 in Stammheim statt. Wir rufen erneut zur solidarischen Prozessbegleitung ab 8 Uhr auf.