Gegen Corona-Leugner und „Zentrum Automobil“ – Artikel im Antifaschistischen Infoblatt

Als “Antifaschismus bleibt notwendig!”-Kampagne haben wir im Antifaschistischem Infoblatt einen Artikel über die Rolle von “Zentrum Automobil” bei Querdenken 711 und der Repression gegen die antifaschistische Bewegung geschrieben.

Gegen Corona-Leugner und „Zentrum Automobil“

Als im Frühjahr 2020 in weiten Teilen der Republik während des ersten Corona-Lockdowns die Bürgersteige hochgeklappt wurden, entstand in Stuttgart eine neue politische Bewegung. Initiiert von dem bis dato politisch nicht in Erscheinung getretenen IT-Unternehmer Michael Ballweg entwickelte sich eine kleine „Anti-Lockdown“-Kundgebung innerhalb weniger Wochen zur „Querdenken“-Massenveranstaltung mit bis zu 15 000 Menschen.

Eine rechtsoffene Massenmobilisierung

„Querdenken711“ hatte von Beginn an einen deutlich erkennbaren verschwörungstheoretischen, antiwissenschaftlichen und in der Konsequenz reaktionären Charakter. Trotzdem gelang es der Bewegung zumindest in Stuttgart mit weitestgehend inhaltsleeren Widerstandsparolen, die Unsicherheit in unterschiedlichen Gesellschaftsschichten zu nutzen und so Zuspruch über die Impfgegner- und Reichsbürgerkreise hinaus zu erhalten. Insbesondere kleinbürgerliche und etwas besser gestellte Kreise, die im Zuge der Krise ihre Felle davon schwimmen sahen, kamen zu den „Events“ auf dem Volksfestgelände im Stadtteil Cannstatt.

Weite Teile der organisierten Rechten, wie etwa AfD-Landtagsabgeordnete, die „Identitäre Bewegung“ (IB) und das “Compact-Magazin”, waren bereits in Stuttgart sichtbarer und akzeptierter Bestandteil der „Querdenken“-Bewegung. Ein tragfähiges Konzept zur Einflussnahme konnten die Rechten dabei (noch) nicht entwickeln, auch wenn es gelang, vereinzelt RednerInnen zu platzieren oder Aktionen durchzuführen. Dennoch sind die Stuttgarter Aktivitäten Ausgangspunkt für die späteren rechten Massenmobilisierungen nach Berlin und Leipzig. In Stuttgart sammelte die Rechte wichtige Erfahrungen und nutzte die „Querdenken“-Kundgebungen zur strömungsübergreifenden Vernetzung. Eine wichtige Rolle spielte dabei der Stuttgarter Verein „Zentrum Automobil e.V.“ (ZA).

Ultrarechte Scheingewerkschaft

„Zentrum Automobil“ ist ein betrieblicher Zusammenschluss im Daimler-Werk in Stuttgart-Untertürkheim, der dort aktuell sechs der 47 Betriebsräte stellt. (Vgl. AIB Nr. 119) Gegründet wurde ZA 2009 vom Industriemechaniker und ehemaligen CGM-Betriebsrat1 Oliver Hilburger. Der Ex-Bassist der RechtsRock-Band „Noie Werte“ ist bis heute die zentrale Figur des Vereins. Er lebt mit weiteren ZA-Mitgliedern und AfD-Funktionären im kleinen Ort Althütte im Rems-Murr-Kreis.

Hilburger ist, wie auch der ZA-Mitgründer Christian Schickart, Teil des dortigen Impfgegner-Stammtisches und betreibt zudem eine „Heilpraktiker-Praxis“.2 Neben Hilburger sind weitere (frühere) Neonazis wie der ehemalige Kassenwart der verbotenen „Wiking-Jugend“ Hans Jaus und Rico Heise aus dem „Blood & Honour“-Milieu Teil von ZA. Mit dem stellvertretenden Stuttgarter AfD-Bezirksbeirat Andreas Brandmeier existiert eine direkte personelle Verknüpfung von AfD und ZA. Sascha Woll, ebenfalls ZA-Kandidat, war nach Erkenntnissen eines NSU-Untersuchungsausschusses in den 1990ern Jahren zeitweilig ein Anhänger der Stuttgarter Neonazi-Gruppe „Kreuzritter für Deutschland“. Betriebsintern soll ZA deswegen auch von Teilen der IG Metall-Basis als „NSU-Betriebsgruppe“ bezeichnet werden.

Unterstützung erhält ZA von Simon Kaupert. Der ehemalige IB-Aktivist arbeitet mittlerweile als “Medienaktivist” bei dem rechten Verein „Ein Prozent“ und produziert die Promotion-Videos von ZA. Ursprünglich als eine Art “Wahlverein” für Oliver Hilburger gegründet, nimmt ZA mittlerweile eine strategische Funktion im rechten Lager ein. Mit seinen Auftritten bei der “Compact-Konferenz” in Dresden und bei PEGIDA vollzog Hilburger 2019 den öffentlichen Schulterschluss zum äußerst rechten Teil der AfD um Höcke. Die Zusammenarbeit erscheint aus antifaschistischer Perspektive auch historisch betrachtet folgerichtig. ZA orientiert sich nach Analysen antifaschistischer Projekte auch an der „Nationalsozialistischen Betriebsorganisation (NSBO)“, die den deutschen Faschisten in den 1930ern eine Verankerung in der ArbeiterInnenklasse schaffen und den Einfluss linker und kommunistischer Politik zurückdrängen sollte.

Kriselnder Kapitalismus

Oliver Hilburger war „Querdenken“-Teilnehmer der ersten Stunde und suchte früh den Kontakt zu Initiator Ballweg. Anders als etwa die AfD nutzte Hilburger seine Rolle als Schnittstelle zwischen Großbetrieb und Impfgegnerszene geschickt. Die Gruppe um ZA wuchs so Woche für Woche und stellte spätestens zum Auftritt des Holocaustleugners3 Ken Jebsen (eigentlich Kayvan Soufi Siavash) am 9. Mai 2020 eine der größten organisierten ultra-rechten Gruppen auf der „Querdenken“-Kundgebung. Geknüpft war die Präsenz sicherlich auch an die Erwartungshaltung, im Zuge der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Krise konkreten Einfluss auf eine möglicherweise wichtige (Straßen-) Bewegung zu bekommen: Nicht wenige Rechte betrachteten „Querdenken711“ als reale Option auf ein westdeutsches PEGIDA.

Der Bezug von ZA zur Straße kommt dabei nicht von ungefähr. Schon während der Proteste gegen die Diesel-Fahrverbote im Januar 2019 versuchte ZA gemeinsam mit dem Stuttgarter AfD-KV um den Bundestagsabgeordneten Dirk Spaniel Einfluss auf die spontan entstandene Bewegung zu nehmen. In Anbetracht der aktuell aufkommenden Wirtschaftskrise und dem absehbaren Ende des Verbrennungsmotors kommt der Auseinandersetzung in der deutschen Automobilindustrie eine Schlüsselrolle zu. ZA könnte hier mit einem national-rebellischen Ansatz und dem Schulterschluss zur Straße an Bedeutung gewinnen, auch weil der Verein zielstrebig und in Teilen erfolgreich an einem bundesweiten Netzwerk rechter Arbeitnehmervertretungen arbeitet. Weitere ZA-Betriebsräte gibt es im Rastatter Daimler-Werk, Kontakte unterhält ZA u.a. in die Werke von VW in Zwickau, BMW in Leipzig und Opel in Rüsselsheim.

Die konfliktscheue und sozialpartnerschaftlich orientierte Linie der IG Metall-Führung in der Krise wirkt dabei wie Wasser auf die Mühlen der rechten Pseudogewerkschaft. Hinzu kommt die allgemeine Schwäche der antikapitalistischen Linken, deren (Klassen-) Standpunkte hinter den Werkstoren faktisch nicht präsent sind.

Offensiver Widerstand und Repression

Die Stuttgarter Ereignisse sind ein Beispiel dafür, wie schnell Massendynamiken in Krisenzeiten entstehen und von Rechts besetzt werden können. Aber auch dafür, wie notwendig breitgefächerter und vielschichtiger antifaschistischer Widerstand ist. Die klassische „Anti-Nazi-Politik“ muss aber im Umgang mit rechts-offenen Massenbewegungen anders gewichtet und ergänzt werden: Aufklärungsarbeit, Störaktionen und antikapitalistische Gegenangebote, genauso wie gezielte und bewusst eingesetzte Militanz, können dazu beitragen Phänomenen wie „Querdenken“ etwas entgegenzusetzen.4

Die Stuttgarter „Querdenken“-Kundgebungen endeten (vorerst) am 16. Mai 2020, als in den frühen Morgenstunden ein Brandanschlag drei LKWs der Veranstaltungstechnikfirma VTS5 zerstörte und am Mittag der Demonstrations-Vortreffpunkt von ZA von etwa 30 Antifaschist_innen angegriffen wurde. Im Zuge dieser Auseinandersetzung wurde der, möglicherweise mit Schlagringen bewaffnete, ZA-Pressesprecher Andreas Ziegler schwer und die beiden ZA‘ler Ingo T. und Jens D. leicht verletzt.6 Hinzu kam am frühen Abend ein Angriff auf eine Aktivistengruppe der “IB Schwaben” in einer Pizzeria.

Auch wenn diese Intervention letztlich ausschlaggebend für den vorübergehenden Rückzug des „Querdenken“-Kopfes Ballweg am Abend des 16. Mai 2020 war, so waren die direkten Angriffe eben nur ein Teil eines vielschichtigen antifaschistischen Widerstands.

Das offensive Vorgehen gegen die organisierte Rechte rief in der Folge die Ermittlungsbehörden auf den Plan. Gleich zwei Sonderkommissionen ermitteln bis heute gegen die antifaschistische Bewegung. Im Juli 2020 kam es zu einer ersten Hausdurchsuchungswelle in Stuttgart, Tübingen, Karlsruhe, Ludwigsburg und dem Rems-Murr-Kreis. Es folgten staatsanwaltschaftliche Zeug_innenvorladungen, offene Observationen und Gefährder_innenansprachen. Ende September 2020 durchsuchte die SOKO „Arena“, die im ZA-Fall ermittelt, eine weitere Wohnung. Auch der Inlandsgeheimdienst intensiviert im Kontext der Repression seine Bemühungen. Bis Mitte November 2020 wurden vier „VS-Anquatschversuche“ im Zusammenhang mit „Querdenken“ in Baden-Württemberg bekannt.

Politisch wird versucht, die antifaschistische Bewegung anhand der „Gewaltfrage“ in Gut und Böse zu spalten und den kämpferischen Teil zu isolieren. Umso notwendiger ist die breite, spektrenübergreifende Solidarität. Aktuell sitzen zwei Stuttgarter Antifaschisten in Untersuchungshaft, denen eine Beteiligung am Angriff auf ZA vorgeworfen wird.7 Ihnen gilt die uneingeschränkte Solidarität der Kampagne „Antifaschismus bleibt notwendig.“

Weitere Infos zum Stand der Verfahren und der Arbeit gegen „Querdenken711“ findet ihr unter: www.notwendig.org