Getroffen durch die Hausdurchsuchungen wurden acht AntifaschistInnen aus Baden-Württemberg. Gezielt haben die Behörden aber auf die gesamte antifaschistische Bewegung.
Aus diesem Grund hat die Antifaschistische Aktion (Aufbau) Tübingen ein Flugblatt zum Umgang mit staatlicher Repression geschrieben.
Der Text ist gedacht als Diskussionsgrundlage für Gruppen, linke Projekte und Zentren, für WGs und zur Diskussion mit euren Freund*innen.
Am Morgen des 02. Juli 2020 durchsuchten die Bullen Wohnungen im Großraum Stuttgart, Tübingen und Karlsruhe. Seit dem sitzt unser Genosse Jo in Stammheim in U-Haft. Begründet wurden die Razzien mit einer Auseinandersetzung zwischen Antifaschist*innen und drei Faschisten des Vereins „Zentrum Automobil“. Diese waren auf dem Weg zu einer der Corona-Demos auf dem Canstatter Wasen, als konsequente Antifas ihnen dies verunmöglichten.
Hinter „Zentrum Automobil“ steckt ein faschistischer Verein, der sich zwar selbst Gewerkschaft nennt, damit aber absolut nichts zu tun hat. Deren eigentlicher Zweck, der Schutz von Rassisten und Nazis in den Betrieben, wird nie vereinbar sein mit dem Kampf für die Rechte von uns Arbeiter*innen.
Weitere Informationen zum „Zentrum Automobil“ findet ihr auf den Websites der Antifaschistischen Aktion (Aufbau) Stuttgart und der Antifaschistischen Perspektive Ludwigsburg / Rems-Murr.
Getroffen hat es am Donnerstag letzte Woche acht Genoss*innen aus Baden-Württemberg. Doch gemeint hat dieser Angriff uns alle. Besonders im Zuge des aktuellen Rechtsrucks und der sich immer weiter verschärfenden kapitalistischen Krise, verwundert es wenig, dass fortschrittliche und revolutionäre Kräfte klein gehalten und eingeschüchtert werden sollen. Daraus ergibt sich für uns die Einsicht, dass auch und vor Allem diejenigen, die nicht persönlich von den Durchsuchungen betroffen sind, die Verantwortung tragen, der staatlichen Repression kollektiv und solidarisch zu begegnen. Denn: Die Durchsuchungen sind ein Angriff auf die gesamte antifaschistische Bewegung in Baden-Württemberg.
Der Repressionsdruck hat sich in den vergangenen Wochen spürbar erhöht. Ziel dieser Repression ist es vor allem, Exempel zu statuieren und damit junge Aktivist*innen abzuschrecken, ihren Worten auch ganz praktisch Taten folgen zu lassen. Einzelne sollen unter Druck gesetzt, verunsichert und aus der Bewegung gelöst werden.
Das bedeutet für uns alle, dass wir das Thema „Absicherung unserer Strukturen“ nach wie vor im Blick behalten müssen, wenn nicht sogar verstärkt mit allen Genoss*innen, Gefährt*innen, Mitbewohner*innen und Freund*innen diskutieren sollten. Denn hat unsere Sicherheit Lücken, ist auch die Repression nicht weit. Egal ob wir in Gruppen organisiert sind oder nicht, ob wir in einem linken Wohnprojekt wohnen oder ab und an mal auf eine Demo gehen: Wenn wir uns in linken Kreisen bewegen, tragen wir die Verantwortung uns gegenseitig zu schützen. Beispielsweise indem wir uns bewusst machen, dass die Räume, in denen wir uns bewegen keine Sicheren sind, in dem wir Anquatschversuche der Cops konsequent abwehren und auch andere darauf hinweisen, wenn sie ins Labern und Tratschen kommen. Tun wir das nicht, verraten wir am Ende unsere wichtigste Grundlage: die Solidarität!
Konkret heißt das für uns alle:
- Wir sind nicht die Bullen. Wir sind also nicht verantwortlich, Straftaten aufzuklären und über diese zu spekulieren. Doch wenn wir eben genau das tun: „Wer wars?“, „Ich habe gehört, dass…“, „Das war bestimmt XY“, dann übernehmen wir, wenn vielleicht auch ungewollt, den Job des Staatsschutzes, also der Polizei. Das widerspricht grundsätzlich und immer einem solidarischen Umgang und führt im Zweifel zu Repression gegen Aktivist*innen und der Schwächung unserer Bewegung.
- Handys und andere mobile Endgeräte, die die meisten von uns nutzen, können bei unbedarftem Gebrauch zu hohen Sicherheitslücken werden. Wenn wir über diese Geräte Informationen weitergeben oder diskrete Planungen im Beisein dieser Geräte besprechen, kommt das einer Aussage bei den Cops gleich. „Keine Aussagen bei den Bullen“, das haben schon viele auf dem Schirm. Das heißt jedoch im Umkehrschluss aber auch: „Keine Aussagen im Beisein meines Smartphones“ und „Keine Posts, Bilder oder Memes vom Smartphone für den SocialMediaKanal der Gruppe!“ Der Begriff der Aussageverweigerung muss ab dem 21. Jahrhundert zwangsläufig mit der Zeit gehen und somit auch alle technischen Endgeräte mit einbeziehen. Tauscht euch über sichere und praktikable Möglichkeiten der Öffentlichkeitsarbeit untereinander aus. Oftmals vermitteln Nachrichten-Apps durch Verschlüsselungen ein vermeintliches Sicherheitsgefühl, das am Ende zu unbedarfter Nutzung führen kann. Also lasst die Handys einfach mal zu Hause, und macht euch bewusst, dass alle strafrechtlich und politisch relevanten Angelegenheiten grundsätzlich nichts auf Smartphones zu suchen haben.
- Wohnprojekte und Zentren, wie die Schelling, die LU15, die Gartensia und auch das Epplehaus sind keine sicheren Räume. Es liegt nahe und kam auch in jüngster Vergangenheit vor, dass diese abgehört oder/und abgefilmt, also systematisch überwacht werden. Das bedeutet: natürlich nutzen wir diese Räume, wohnen dort und machen dort auch Politik. Trotzdem sollten wir immer abwägen, wo welche Aktion geplant wird und ob es nicht eine Alternative zu den Projekten gibt. Denn tun wir das nicht, können wir die Cops auch gleich zu uns nach Hause einladen.
- Im Falle eines Anquatschversuchs bei euch zu Hause, auf dem Weg zur Arbeit, in die Schule, in die Uni usw.: bleibt ruhig, verweigert jedes Gespräch, lasst die Bullen nicht in eure Wohnung. Ein Anquatschversuch ist kein netter Plausch oder begründet durch ehrliches Interesse des Staates an unserer Politik. Er ist nichts weiter als ein Einschüchterungsversuch, um möglichst unverfänglich an Informationen zu kommen, die am Ende immer gegen uns verwendet werden. Seid ihr Opfer eines Anquatschversuchs geworden, macht diesen unbedingt öffentlich!!! Ihr wisst nicht, wem diese Information am Ende den Arsch retten könnte. Alles andere ist unsolidarisch! Wenn es in eurer Stadt eine Rote Hilfe, oder eine andere Rechtshilfegruppe gibt, informiert diese so schnell wie möglich.
- Offene Strukturen, wie politische Treffen, Wohnprojekte und autonome Zentren, sind immer auch anfällig für Spitzel. Das mindert aber nicht deren Notwendigkeit für eine politische Linke. Abschottung in kleine klandestine Zirkel, Verlust unserer Ansprechbarkeit für andere Teile der Gesellschaft und damit der Verlust des Potenzials, mehr zu werden, sind keine Lösung. Schützen können wir uns nur durch einen bewussten und offenen Umgang mit der Thematik, ohne uns aber gegenseitig kirre zu machen und unbegründet zu verdächtigen. Gegenseitiges Vertrauen ist grundsätzlich wichtig für die Arbeit innerhalb solcher Strukturen. Schützen können wir uns durch das Einhalten von Sicherheitsvorkehrungen.
Ein offener Umgang mit Repression ist maßgeblich, die Thematisierung und Einhaltung gewisser Sicherheitsstandards notwendig. Gerade, wenn wir Repression nicht mystifizieren, können wir aktiv dagegen steuern.
Dass wir uns vor Strafen und dem Knast schützen, bedeutet aber nicht, dass wir unsere politische Arbeit in Zukunft am bürgerlichen Gesetzbuch ausrichten. Nach wie vor müssen unsere Aktionen bestimmt werden durch deren politische Notwendigkeit und ihre Vermittelbarkeit. Sicherlich nicht an dem, was ein bürgerlicher Staat für richtig und für falsch hält. Denn Gesetzte ändern sich schnell, je nach dem, wer gerade das Sagen hat oder an Einfluss gewinnt.
Wir sagen weiterhin:
Nazis aufs Maul und Repressionen ins Leere laufen lassen!
Freiheit für Jo!
Link zum Flugblatt: FLUGBLATT