Etwa 60 solidarische ProzessbesucherInnen wohnten dem mittlerweile 14. Verhandlungstag des „Wasen-Verfahren” im Gerichtsgebäude des OLG neben der JVA in Stuttgart-Stammheim bei. Eigentlich waren für diesen Montag die Plädoyes aller Seite angekündigt, zu deren Vortrag kam es letztlich aber nicht. Grund waren mehrere von den Nebenklage-Anwälten vorgebrachte Beweisanträge, die das Verfahren vorerst verlängern. Eine Urteilsverkündung ist frühestens Mitte August, vielleicht auch erst Anfang September wahrscheinlich.
Die Hauptgeschädigte Nazi Andreas Ziegler nahm wie seine Lebensgefährtin Christiane Schmauder nicht am Prozess teil, dafür protokollierte der mit Presseausweis ausgestattete Nazi Michael Stecher fleißig die Ereignisse im Gerichtssaal. Der Prozess begann um 09:00 Uhr und endete um 15:00 Uhr.
Geplante Verschleppung
Mit einer Flut an neuen, teils absurden Beweisanträgen füllten die Nebenklageanwälte, der CDU-Landtagsabgeordnete Reinhard Löffler sowie der bekennende Faschist Dubravko Mandic, weite Teile des Verhandlungstages und verhinderten so bewusst die Verlesung der Plädoyes. So stellte Löffler einen Befangenheitsantrag gegen den vorsitzenden Richter, als dieser mit der Staatsanwaltschaft übereinkommen wollte, die schwere Körperverletzung im Falle Dippon einzustellen, weil über dessen Restsehkraft keine aussagekräftige Erkenntnisse gewonnen werden konnten. Mandic hingegen versuchte per Beweisantrag einen Gewerkschafter vorzuladen, der auf linken Kundgebungen gesprochen hatte. Zudem solle die Lebensgefährtin von Ziegler geladen werden um zu erklären, das dieser schlecht schlafe. Mandic bekräftigte zudem seinen Antrag die Chatverläufe auf beschlagnahmten Handy einsehen zu wollen.
Das Gericht hatte dem offensiven Vorgehen von Rechts nichts entgegen zu setzen und musste den von den RichterInnen forcierten Verfahrensablauf abändern. Einige Anträge lehnte das Gericht ab, darunter auch die Zeugenvernehmung von Zentrums-Kopf Hilburger. Dieser muss nicht vor Gericht erscheinen. Über andere Anträge wird im Laufe des weiteren Verfahrens entschieden. Der Richter bat eindringlich weitere Beweisanträge spätestens am nächsten Verhandlungstag, dem 22. Juli 2021, einzureichen.
Über den Grund der plötzlichen Aktivität, Anwalt Löffler hatte bis dahin vor allem mit Desinteresse geglänzt, lässt sich nur spekulieren. Möglich ist, dass die Rechten der großen Solidaritätsmobilisierung einen Strich durch die Rechnung machen wollten, möglich ist aber auch, dass ein Zieglerscher Kurzurlaub gedeckt werden sollte oder die Kosten des Verfahrens in die Höhe getrieben werden sollten. Im Raum steht natürlich aber auch, dass es den beiden Anwälten darum ging einen Weg zu finden um ihre Nazi-Mandanten aus der Defensive zu holen – bisher hatte das Verfahren ja insbesondere die Bewaffnung der Nazi herausgearbeitet.
Im Anschluss an den Verhandlungstag grüßten die ProzessbesucherInnen Dy der wie immer die 30 Meter vom Gerichtgebäude in die JVA gefahren wurde.
Ausblick
Im abgelehnten Antrag auf Haftentlassung von Dy hat das Gericht einen ersten Ausblick auf das Urteil gegeben. Die Kammer sieht es als erwiesen an, dass Dy Teil der Gruppe war, die den Angriff auf die Nazis am Rande der Querdenken-Demo 2020 durchgeführt hat. Gleichzeitig erkennen die Richter aber an, dass es kaum Beweise für eine unmittelbare Beteiligung an der Verletzung der Nazis gibt. Juristisch steht deswegen schwere Körperverletzung und nicht Totschlag im Raum, ob gemeinschaftlich oder nicht wird sich zeigen. Klar wurde: Es gibt einen nachdrücklichen Willen die beiden Antifaschisten zu Haftstrafen zu verurteilen.
Der kommende Prozesstag am 22. Juli 2021 beginnt erst um 14 Uhr. Es ist nicht davon auszugehen, dass dort alle Anträge abschließend entschieden werden und zudem alle Plädoyes gehalten werden. Im August ist nur ein halber Verhandlungstag am 11. August 2021 angesetzt. Ganztägig wird erst wieder im September verhandelt.
Wir rufen an allen kommenden Verhandlungstagen wieder zur solidarischen Prozessbegleitung.