Briefe an Jo

Seit Donnerstag, dem 2. Juli 2020 sitzt der Antifaschist Jo in Stuttgart-Stammheim in Untersuchungshaft. Das Leben hinter Gittern ist eintönig, trist und geprägt von autoritärer Gewalt. Mit den Briefen können wir ein Fenster zum Leben da draußen ermöglichen, Jo auch weiterhin an unserer politischen Arbeit teilhaben lassen und ihm zeigen, dass wir hinter ihm stehen.

How to:

– Brief schreiben und in den Umschlag legen
– dazu legen: 1 x Briefmarke, 1x extra Umschalg, damit Jo antworten kann
– und Brief einwerfen

Verseht außerdem alle Briefe mit dem Stichwort Jo und sendet sie an:

Rote Hilfe Stuttgart
c/o Infoladen
Böblingerstr. 105
70199 Stuttgart

Die Rote Hilfe sendet die Post dann direkt zu Jo.

Hier noch ein paar Tipps und Dos und Dont’s für die Briefe.
Do:
– Persönliches (wie war euer Tag, was beschäftigt euch, wie ist das Wetter)
– Aktuelles aus Stuttgart und der Welt (gesellschaftlich/politisch)
– Infos zu Soli-Aktionen und Soli-Bekundungen
– Zeitungsartikel
– Bilder, Zeichnungen, Gedichte
– Fußball/ VfB-News
– wenn ihr möchtet, dass ihr eine Antwort bekommt gebt eure Adresse an oder ein Pseudonym für die Rote Hilfe
– zur Überprüfung, ob etwas aufgehalten wird, Briefe durchnummerieren und mit Datum versehen

Don’ts:
Alle Briefe werden vom RichterIn und vom JVA-Personal gegengelesen. Dadruch können Informationen aus Briefen vor Gericht gegen unseren Genossen verwendet werden.
– nichts zur Sache, die ihm vorgeworfen wird
– keine Anspeilungen oder auch Dankesbekundungen
– keine Infos oder Anspielung zu anderen Aktionen
– keine persönlichen Infos, die den Richter / die RichterIn nichts angehen
– Beleidigungen können dazu führer, dass Briefe nicht durchkommen
– keine Namen von Leuten, die ihren Namen nicht bei der RichterIn liegen haben wollen.

Solidarität ist unsere Waffe!

Höchste Zeit zu Handeln! Einschätzung und Vorschläge zum Umgang mit den Corona-Demos

Warum gewinnen die Corona-Demonstrationen so schnell an Zuspruch, wer sind die TeilnehmerInnen, was sind ihre Forderungen und wie muss die antifaschitschistische Bewegung auf ein solche rechts-offene Massenbewgung in Krisenzeitenm reagieren? Eine Einschätz sowie Vorschläge zum Umgang mit den Corona-Demos haben verschiedene Antifa-Gruppen aus dem Südwesten geschrieben. Lest selbst:

Seit einigen Wochen formiert sich, angetrieben vom Unmut über die Einschränkungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie, in vielen Städten der Bundesrepublik eine neue politische Bewegung. Sie nennen sich „Hygiene-Demo“, „Widerstand2020“, „Corona-Rebellen“ oder „Querdenken“. Nicht alle Gruppen sind vernetzt oder beziehen sich aufeinander, dennoch teilen sie mehr als den diffusen Unmut. Es sind vor allem das von Abstiegsängsten geplagte Kleinbürgertum und (kulturell) abgehängte Teile der Unterschicht, die sich hier mit allerhand reaktionären politischen Randgruppen auf der Straße treffen.

Die Bewegung ist gerade alles andere als homogen. Unter den TeilnehmerInnen finden sich VertreterInnen aller möglichen Verschwörungstheorien. Neu sind diese Phänomene nicht. Von ImpfgegenerInnen, rechte EsoterikerInnen über christliche FundamentalistInnen, bis hin zur Reichsbürgerbewegung tummeln sie sich schon seit einigen Jahren am rechten Rand und konnten vom weltweiten Rechtsruck ebenfalls profitieren. Da sie sich in der Corona-Pandemie nun alle in ihren Theorien bestätigt sehen, wird ihre gänzliche Dimension sichtbar.

Neben ihnen auf der Straße findet sich aber auch ein großer Teil, der sich vorher kein bisschen politisch betätigt hat. Menschen aus dem abgehängten Kleinbürgertum, die durch den Lockdown von Abstieg bedroht sind oder bereits vor dem wirtschaftlichen Ruin stehen.
Zu ihnen gesellen sich noch Angehörige der reichen Mittelschicht, die sich in ihrer Konsumfreiheit eingeschränkt sehen. Den geringsten, aber medial am meisten hervorgehoben Teil stellen liberale GrundgesetzanbeterInnen und Personen da, die sich von der etablierten Politik nicht mehr vertreten fühlen und deshalb auf der Suche nach politischer Orientierung sind.

Ihre zentrale Forderung lautet sämtliche Maßnahmen zum Infektionsschutz sofort zu beenden. Als Begründung dafür müssen wahlweise krude Verschwörungstheorien, das Grundgesetz, die Folgen für die Wirschtschaft oder die schlichte Behauptung, die Pandemie existiere überhaupt nicht, herhalten. Vielerorts wird die Forderung nach dem „zurück zur Normalität“ gebetsmühlenartig wiederholt. Wirklich belastbare Vorschläge zum Umgang mit der Pandemie gibt es nicht.

Die Bewegung gegen die Corona-Einschränkungen versucht sich überparteilich zu geben, immer wieder wird betont man sei weder links noch rechts und es ginge lediglich um die Grundrechte. Alle sollten in dieser Situation zusammenstehen. Doch wer hinschaut erkennt schnell, dass sowohl inhaltlich als auch personell die politische Türe nach rechtsaußen sperrangelweit offen steht, während man von linken klassenkämpferischen Positionen oder auch nur einem Hauch Kapitalismuskritik nichts wissen will.

Diese Potential haben längst auch die verschiedenen Spektren der organisierten Rechten entdeckt. Je nach lokaler Stärke finden sich der „III. Weg“, die „AfD“, die „Identitäre Bewegung“ oder rechte Burschenschaftler auf den Demonstrationen wieder. Derzeit handeln sie allerdings weder einheitlich noch sind sie der bestimmende Teil der Bewegung.

Bei den „Corona-Demos“ trifft kleinbürgerlicher Individualismus auf die Interessen den Kapitals. Während die einen sich beim Tragen eines Mund-Nase-Schutzes zum Einkaufen in ihren persönlichen Freiheiten eingeschränkt sehen, sehen andere durch die Wirtschaftskrise vor allem ihre Profite gefährdet. Schuld haben wahlweise Merkel, „dunkle Mächte“ oder die World Health Organization (WHO).

Trotz teilweiser absurd anmutender Argumentationsketten erhalten die Kundgebungen einen Zuspruch auch über die genannten Kreise hinaus. Es wäre in unserer Augen vermessen und falsch die Ansammlungen als einen Haufen Spinner abzutun und ihnen keine Beideutung bezumessen. Genauso falsch wäre es die Kundgebungen als klassisch rechte Veranstaltung zu behandeln und nach Schema F dagegen vorzugehen. Vielmehr bedarf es einer differenzierten Herangehensweise die an mehreren Stellen gleichzeitig ansetzt.

Gerade zu Beginn sollte Recherche und Aufklärungsarbeit ein besonderer Augenmerk beigemessen werden. Wir müssen diese Veranstaltungen genau beobachten, die Teilnahme von bekannten Rechten dokumentieren, öffentlich thematisieren und den Schulterschluss politisch skandalisieren. Gleichzeitig erachten wir es als notwendige Aufgabe antifaschistischen Selbstschutz zu organisieren. (Groß-) Veranstaltungen auf denen sich Nazis aus „Identitärer Bewegung“, „Blood & Honour“, Kameradschaften oder anderen Gruppen ungestört sammeln, können immer auch Ausgangspunkt von Übergriffen sein und eine reale Bedrohung darstellen. Nicht nur deswegen tut die antifaschistische Bewegung gut daran auf bewährte Methoden zurückzugreifen: Direkte Konfrontation und Einschüchterung haben schon immer einen Teil dazu beitragen, dass sich Rechte schwerer tun im öffentlichen Raum Fuß zu fassen.

Parallel gilt es für den kleinen Teil der TeilnehmerInnen an den Corona-Demos, die politische Orientierung zu suchen und potentiell auch für linke Themen ansprechbar sind, aber auch für andere Teile der Gesellschaft sichtbare Alternativen anzubieten. Schließlich ist nicht nur die Pandemie, sondern auch die Wirtschaftskrise real und das Krisenmanagement der Herrschenden nicht darauf ausgelegt im Sinne der Beschäftigten zu handeln. Die großen Unternehmen werden subventioniert, nicht die prekär beschäftigten Reinigungskräfte. Gerade deswegen ist es notwendig nicht bei der Arbeit gegen Rechts stehen zu bleiben, sondern auch als antifaschistische Bewegung unseren Teil zu linken Krisenantworten beizusteuern. Jetzt sind klare antikapitalistische Agitation und Praxis gefragt. Als Gegenpol zu den „Corona-Demos“ aber auch weit darüber hinaus. Erste Beispiele für linke Krisenmobilisierungen gibt es bereits in einigen Städten.

Welche Gefahren tatsächlich von der „Corona-Demo-Bewegung“ ausgehen werden, hängt sehr stark von ihrer weiteren Entwicklung ab. Vor allem die AfD versucht zunehmend in bekannter populistischer Manier auf den Zug aufzuspringen. Sie beteiligen sich teils offen, teils unerkannt an den Kundgebungen oder versuchen auch vereinzelt eigene zu organisieren. Während die RechtspopulistInnen zu Beginn der Corona-Krise noch vergeblich versuchten mit „Antichinesischem-Rassismus“ zu punkten und einen noch schnelleren Lockdown zu fordern, war es inmitten des gesellschaftlichen Stillstands ruhig um die Rechten geworden.

Die nun vollzogene politische 180-Grad-Drehung, also die Forderung nach der sofortigen Aufhebung aller Maßnahmen erscheint im ersten Moment zwar unlogisch, ist aber folgerichtig. Sie dient der AfD einerseits dazu in der aufkommenden politischen Bewegung Fuß zu fassen und sich andererseits als deren legitimer politischer Arm zu präsentieren und somit verlorenen Boden wieder gut zu machen. Die Forderungen nach einem Ende des Lockdowns erfüllen im Übrigen die Wünsche der Wirtschaft, die nur zu gerne ohne Rücksicht auf den Gesundheitsschutz der Beschäftigten weiter produzieren, transportieren und verkaufen wollen.

Sollte es der organisierten Rechten gelingen sich an die Spitze dieser Bewegung zu setzen, oder zumindest diese Bewegung soweit zu beeinflussen, um mit Blick auf die nächsten Wahlen Unterstützung zu erhalten, könnte dies zu einer weiteren Verschärfung des Rechtsrucks beitragen. Der AfD könnte es damit gelingen sich auch in wirtschaftlichen Fragestellungen als „Anwalt des kleinen Mannes“ zu inszenieren. So würden die RechtspopulistInnen in bekannter faschistischer Tradition zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: In der Krise die Klasse spalten und gleichzeitig den Interessen des Kapitals Vorschub leisten. Genau das zu verhindern erachten wir als die Aufgabe der antifaschistischen Bewegung.

Mai 2020
Antifaschistische Aktion Karlsruhe
Antifaschistische Aktion Südliche Weinstraße
Antifaschistische Aktion (Aufbau) Mannheim
Antifaschistische Aktion (Aufbau) Stuttgart
Antifaschistische Aktion [Aufbau] Tübingen
Antifaschistische Aktion [O] Villingen-Schwenningen
Antifaschistische Perspektive Ludwigsburg Rems-Murr
Antifaschistischer Aufbau München

Am 2. Juli 2020 wurden in mehreren baden-württembergischen Städten, darunter Karlsruhe, Ludwigsburg, Tübingen und Stuttgart, insgesamt neun Wohnungen von AntifaschistInnen durchsucht. Bei fast allen Betroffenen wurde im Anschluss an die Durchsuchung eine DNA-Entnahme, teilweise unter Zwang, vorgenommen. Der Antifaschist Jo sitzt seit der Durchsuchung in Untersuchungshaft in Stuttgart-Stammheim.
Die Hausdurchsuchungswelle Anfang Juli steht laut Stuttgarter Polizei im Zusammenhang mit einer Auseinandersetzung zwischen Nazis und AntifaschistInnen am Rande der „Querdenken 711“-Demo am 16. Mai 2020 am Cannstatter Wasen. Allen Durchsuchten wird vorgeworfen an diesem Tag an einem Angriff auf den Treffpunkt der faschistischen Scheingewerkschaft „Zentrum Automobil“ unweit der Mercedes-Benz-Arena beteiligt gewesen zu sein. Im Verlauf der Auseinandersetzung wurden mehrere Nazis verletzt, einer von ihnen schwer.
Die Polizei ermittelt seitdem mit der eigens eingerichteten Ermittlungsgruppe „Arena“ wegen Landfriedensbruch und versuchtem Totschlag gegen die antifaschistische Bewegung. Im Vorfeld aber auch im Nachgang der Hausdurchsuchungen kam es zu polizeilichen Anquatschversuchen, offenen Observationen und staatsanwaltschaftlichen Vorladungen.

Corona-Demos, Querdenken, Zentrum-Automobil – Was ist los in Stuttgart?
Kurz nach Beginn der Corona-Pandemie entstand in Stuttgart eine neue, rechts-offene Massenbewegung: „Querdenken 711“. Initiiert von einem Stuttgarter IT-Unternehmer versammelten sich im Frühjahr 2020 bis zu 20.000 Menschen auf dem Volksfestgelände am Neckar. Mitunter weil sich der Initiator als überparteilich darstellte und sich nicht konsequent von Rechts distanzierte, wurden die „Corona-Demos“ schnell zum Nährboden für rechtes Gedankengut: Reichsfahnen, „Merkel muss weg“-Schilder, „Wir sind das Volk“-Parolen, Runen-Tattoos, „Lügenpresse“-Shirts… Unter den Teilnehmenden befanden sich neben ImpfgegnerInnen und VerschwörungstheoretikerInnen, auch Nazi-Kameradschaften, AfD-Landtagsabgeordnete und Mitglieder der Identitäten Bewegung. Die Rechten bewegten sich völlig frei auf der Kundgebung und wurden als „natürlicher“ Bestandteil akzeptiert.
Unter ihnen befanden sich auch Mitglieder des faschistischen Vereins „Zentrum Automobil“, der als Scheingewerkschaft vor allem in den Daimler-Werken in Stuttgart-Untertürkeim aktiv ist. „Zentrum Automobil“ ist vereinfacht gesagt der betriebliche Arm des faschistischen „Flügels“ in der AfD. Der Kopf des Vereins, Oliver Hilburger aus Althütte im Rems-Murr-Kreis, war jahrzehntelang fester Bestandteil des rechtsterroristischen Netzwerks „Blood & Honour” und darüber hinaus Mitglied der Rechtsrockband „Noie Werte”, deren Musik das NSU-Bekennervideo untermalte. Unter Hilburgers Führung sucht „Zentrum Automobil“ in den vergangenen Jahren die Nähe zur AfD, dem rechten Compact-Magazin und der „Identitären Bewegung“. Gleichzeitig hetzt der Verein im Betrieb gegen gewerkschaftlich organisierte KollegInnen und ergreift Partei für rassistische Angestellte. Dabei ist Oliver Hilburger nicht das einzige Mitglied mit einschlägiger Vergangenheit. Das Zentrum-Mitglied Rico Heiße beantragte Knastbesuche für NSU-Unterstützer, Zentrum-Betriebsrat Hans Jauß war Schatzmeister der verbotenen „Wiking-Jugend” und mit Zentrum-Aktivist Simon Kaupert bestehen Überschneidungen zur “Identitären Bewegung”, „Ein Prozent“ und der “Jungen Alternative”.
Begleitet von antifaschistischen Protesten bricht die Bewegung Mitte Mai 2020 in sich zusammen. Den offen rechten Kräften ist es nicht gelungen das Ruder an sich zu reißen und der massive antifaschistische Widerstand macht eine Teilnahme für viele Menschen vorerst unattraktiv. Teil der Gegenproteste waren neben Flugblattverteilung, Outingplakaten und Störaktionen auf dem Wasengelände auch direkte Interventionen. Mehrfach wurden Nazis rund um die „Corona-Demos“ angegriffen, so auch am 16. Mai 2020 der Treffpunkt von „Zentrum Automobil“.

Jetzt erst recht: Antifaschismus ist notwendig.
In Zeiten einer immer weiter voranschreitenden Rechtsentwicklung der Gesellschaft und neu aufkeimender rechter Massenbewegungen ist es nur folgerichtig, dass Menschen antifaschistisch aktiv sind und den Nazis entgegentreten. Erfolgreicher Antifaschismus lebt jedoch immer von seiner Vielschichtigkeit: Aufklärungsarbeit, Gegenproteste, Mahnwachen, Blockaden aber auch direkte Angriffe. Denn dort, wo Nazis sich wohlfühlen, breiten sie sich aus, verbreiten ungehindert menschenverachtenden Hetze und bedrohen das Leben aller, die nicht in ihr Weltbild passen. Mehr als 200 Menschen wurden seit 1990 in der BRD durch Nazis ermordet. Zuletzt in Hanau und Halle. Direktes Vorgehen gegen Nazis aller Couleur ist in Anbetracht dieser Entwicklungen Teil eines bitter notwendigen antifaschistischen Selbstschutzes.
Natürlich kann es zu verschiedenen Aktionsformen im Kampf gegen Rechts unterschiedliche Meinungen und Sichtweisen geben, das ist völlig legitim und Diskussionen dazu sind innerhalb der linken Bewegung unabdingbar. Klar ist aber auch: Ein Angriff auf einige von uns ist ein Angriff auf alle. Deswegen solidarisieren wir uns mit dem Beschuldigten und allen Betroffenen.

Für Solidarität – gegen Repression und Spaltung.
Die Durchsuchungen vom 2. Juli 2020 sind ein staatlicher Angriff auf die antifaschistische Bewegung. Sie sind auch das Ergebnis der wochenlangen, bewussten Stimmungsmache gegen Links in Stuttgart. Während die bürgerliche Politik in Person von Innenminister Strobl die Durchsuchungen mit dem Satz „Wir kriegen euch“ kommentiert, hatte sich die lokale Presselandschaft schon vor den Durchsuchungen mit der unkritischen Berichterstattung über „Querdenken 711“ und der Hetze gegen die antifaschistischen Proteste hervorgetan.
Das alles geschieht nicht ohne Grund. In Zeiten einer immer präsenter werdenden Wirtschaftskrise ist es für staatliche Akteure wichtig, fortschrittliche Antworten und Perspektiven möglichst großflächig zu delegitimieren. Dazu zählt euch ein kämpferischer Antifaschismus, der isoliert und eingemacht werden soll. Gleichzeitig steht die Stuttgarter Polizei unter Druck, hat sie doch nach den Auseinandersetzungen rund um den Wasen wenig an konkreten Ermittlungserfolgen vorzuweisen. Es deutet alles darauf hin, dass an Jo ein Exempel statuiert werden soll.
Diese Angriffe, die Einschüchterungs- und Spaltungsversuche gilt es durch die gemeinsame Solidarität aufzufangen und ins Leere laufen zu lassen. Wenn der Staat aktive AntifaschistInnen derart massiv angreift und versucht anhand der Gewaltfrage die Bewegung zu spalten, während Faschisten aus Bundeswehr und Polizeiapparat Waffen und Sprengstoff horten und sich konkret auf einen Bürgerkrieg vorbereiten, ist es absolut notwendig über Spektren und Milieus hinweg zusammenzustehen.

Egal ob auf der Straße, im Betrieb, vor den Staatsanwälten und Richtern: Antifaschistisch ist legitim und bleibt notwendig!

BekennerInnenschreiben zum Angriff auf Zentrum Automobil

Quelle: https://de.indymedia.org/node/84673

von: einige Antifas am: 27.05.2020 – 17:24
Themen: Antifa
Regionen: Baden-Württemberg

Event: Querdenken 711

Im Vorfeld der sogenannten „Querdenken 711“ Kundgebung am 16. Mai auf dem Cannstatter Wasen bei Stuttgart haben militante Antifaschist*innen drei Rechte angegriffen, die zum Vorab-Treffpunkt der faschistischen Betriebsgruppierung „Zentrum Automobil“ stoßen wollten. Alle drei gingen nach kurzer Auseinandersetzung zu Boden. Der Rest der über 1ß-köpfigen rechten Truppe, unter ihnen Oliver Hilburger, der Kopf von „Zentrum Automobil“, und Simon Kaupert, faschistischer Medienaktivist, beobachteten den Angriff ungesehen aus der Deckung heraus. Sie kamen den Angegriffenen weder während der Auseinandersetzung, noch unmittelbar danach zur Hilfe.

Einer der Faschisten erlitt bei dem Angriff eine schwere Kopfverletzung, die ihn in ein medizinisch kritischen Zustand brachte. Mit der „Schwere der Verletzungen“ begründen die Bullen nun Ermittlungen wegen „versuchten Totschlags“. Die Aktion ist nur ein Beispiel von verschiedenen handfesten antifaschistischen Interventionen, die sich an diesem Tag gezielt gegen faschistische Präsenz auf der rechtsoffenen Veranstaltung richteten. Wegen dem Verletzungsgrad, der Aufmerksamkeit und den Ermittlungen, die die Sache nun nach sich zieht, möchten wir an dieser Stelle einige Worte zu dieser Aktion im Besonderen und zu körperlicher Gewalt gegen Faschisten im Allgemeinen verlieren. Es geht uns damit nicht um eine einfache Bewertung, sondern um eine sachliche Diskussion unter Einbeziehung der verschiedenen Ebenen, die dabei eine Rolle spielen:

Zur Klärung des Sachverhalts:

Die Kopfverletzung zog sich der Faschist zu, nachdem er sich in der Auseinandersetzung mit zwei Schlagringen bewaffnete. Durch den Angriff wurde er daran gehindert sie einzusetzen. Es hat zweifellos denjenigen mit Härte getroffen, die auch selbst bereit sind hart auszuteilen. Die Auseinandersetzung war nicht sportlich und fair – das sollte aber auch nicht der Charakter einer ernsthaften antifaschistischen Intervention sein. Ebensowenig stand aber eine „Tötungsabsicht“ im Raum, wie es die Bullen nun behaupten.

Zur Schwere der Verletzungen:

Unserer Einschätzung nach kann es momentan nicht das Ziel antifaschistischer Angriffe sein, Nazis in Straßenauseinandersetzungen systematisch schwere bis tödliche Verletzungen zuzufügen. Aber wir sind nicht naiv: Jede körperliche Auseinandersetzung birgt die Gefahr einer ungewollten Eskalation. Schon ein Faustschlag kann unter Umständen tödliche Folgen haben und trotz guter Vorbereitungen kann das Eskalationslevel vom Gegner in eine Höhe geschraubt werden, der man sich in der konkreten Situation nicht mehr entziehen kann. Dieses Risiko gehen wir ein, weil es keine Alternative wäre, der Straßenpräsenz der Faschisten, die zwangsläufig zu enthemmter Gewalt und Mord führt, keine Grenzen zu setzen. Es bleibt die Feststellung, dass ein verantwortungsbewusster und kollektiver Umgang mit dieser Ebene antifaschistischer Arbeit notwendig ist und dass wir die Bereitschaft brauchen, einen konstruktiven und selbstkritischen Umgang mit den Risiken zu entwickeln – sie auszublenden wäre fahrlässig, sie zu verabsolutieren wäre lähmend.

Zur Frage der körperliche Auseinandersetzung mit Faschisten:

– Der antifaschistische Kampf ist Teil des sozialen Bewegungen für eine freie und solidarische Gesellschaft und verteidigt dieser Anliegen auf verschiedenen Ebenen. Faschistische Kräfte arbeiten hin auf die politische und physische Vernichtung dieser Bewegung. Wer das ernst nimmt, muss auch anerkennen, dass die gewalttätige Gegenwehr ein wichtiger Teil des Antifaschismus ist, der nicht unterschätzt werden sollte. Wir sind uns im Klaren darüber, dass der Einsatz von Gewalt gegen Menschen das letzte Mittel der politischen Auseinandersetzung ist und bleibt. Es kommt dann zum Einsatz, wenn andere Mittel nicht mehr greifen. Wir sind keine Sadist*innen und nicht gleichgültig gegenüber dem Leid Anderer. Deswegen versuchen wir nur soweit zu gehen, wie wir es in der jeweiligen Situation für angebracht halten.

– Es geht uns mit körperlichen Angriffen darum, das öffentliche Auftreten der Faschisten soweit wie möglich zu unterbinden. Wir treiben den gesundheitlichen, organisatorischen und materiellen Preis dafür in die Höhe. Sie sollen mit Schmerzen, Stress und Sachschaden rechnen und dadurch möglichst isoliert, gehemmt, desorganisiert und abgeschreckt werden. Außerdem zeigen sie oft genug selbst, wieviel ihre angebliche „Kameradschaft“ zählt, wenn es mal ernst wird. Dieser Wirkungsgrad politischer Gewalt erfordert keine gezielten schweren/tödlichen Verletzungen hat sich in der Vergangenheit immer wieder als wirkungsvoll erwiesen.

– Politische Gewalt ist in dieser Form aktuell auch für Teile der Bevölkerung, die wir erreichen und einbeziehen wollen als unvermeidlicher Teil des politischen Kampfes gegen die Faschisten verständlich – auch wenn das nicht in jeder Situation der Maßstab sein kann. Wir bezweifeln, dass eine härtere Linie, unabhängig von der Umsetzbarkeit, auf viel Verständnis stoßen würde.

– Warum wir es darüber hinaus aktuell für die antifaschistische Bewegung für gefährlich und nicht durchführbar halten, den Konfrontationskurs mit den Faschisten gezielt auf die Ebene von schweren/tödlichen Verletzungen zu heben: Wir gehen davon aus, dass wir als Bewegung momentan nicht stark genug wären, dieses Level in größeren Teilen und auf lange Sicht zu halten. Das gilt auch für den Repressionsdruck, den es zweifellos mit sich bringen würde. Uns ist klar, dass wir uns auf dieser Einschätzung nicht ausruhen können. Wenn der faschistische Mob wächst und sein Organisationslevel steigt, können andere Kampfformen notwendig werden. Das hat die Geschichte gezeigt und ein Blick z.B. in die Ukraine aktualisiert diese Feststellung. Verdeckte und bewaffnete Terrorzellen und die hunderten faschistischen Morde in den letzten Jahrzehnten, zuletzt in Kassel, Halle und Hanau zeigen auch in Deutschland: Die Gefahr für Migrant*innen, Linke und andere politische Feinde der Faschisten ist aktuell und tödlich. Momentan hat die antifaschistische Bewegung keine Antwort darauf. Das darf nicht so bleiben.

Neben einer sachlichen und klaren Auseinandersetzung zu militanter antifaschistischer Politik ist jetzt aber vor allem eines wichtig: Schützen wir uns gegenseitig vor den Angriffen der Repression! Kein unnötiges Geschwätz über die Aktionen in der Öffentlichkeit, in sozialen Medien und anderen Ecken des Internets, keine Spekulationen, keine Hinweise, die den Bullen bei ihren Ermittlungen irgendwie weiterhelfen könnten.

#staysafe